Äußere Hebriden, Teil 2: auf die mittleren Inseln, die Uists
Von unseren Gastautoren Heinz Bück & Sigrid Schusser
So nass, wie es an jenem letzten Abend auf Harris begann, ging es nachts weiter. Der Fährhafen von Leverburgh war in jener Nacht im Wasser versunken. Wir verließen die Bar des Fischrestaurants erst sehr spät. Viele Gäste waren in den tiefen Sesseln des behaglichen Pubs kleben geblieben. Einheimische flogen herein und stemmten sich nach einem schnellen Pint wieder gegen die zugige Tür und hinaus in die Finsternis, um sogleich vom Sturm verschluckt zu werden und für immer im Dunkeln zu verschwinden. Wir gehörten zu den Letzten, die gingen, liefen durch peitschenden Wind zurück zu unserem Wohnmobil und schlugen die Tür hinter uns zu. Ergeben schliefen wir bis in den grauen Morgen, behaglich unter unserem sicheren Dach aus Blech und dem Trommeln des nicht enden wollenden Regens.
Nichts als triefender Himmel
Morgens um 9 rollten wir – mit einem schlierigen Vorhang aus strömendem Wasser auf der Frontscheibe – auf das offene Deck der kleinen Fähre. Aus gelbem nassen Ölzeug griffen zwei klamme Hände durch das Seitenfenster nach unseren Tickets. Aus der tief gezogenen Kapuze kam ein heiseres knappes „Thank you“. Der triefende Bootsmann winkte uns in eine der markierten Fahrspuren. Ringsum auf den stählernen Riffelblechen des grün gestrichenen Decks sprangen die Tropfen so hoch, als wollten sie zurück in die alles bedeckende braungraue Wasserblase über uns. Erst auf See legte sich der Regen. Doch auf dem entschwindenden Land lastete noch immer ein dampfender Himmel. Nieseliger Dunst hing an den Bergen von Harris, die das schlingernde Boot schnell hinter sich ließ.
Das versunkene Marschland
In mäandrierender Fahrt glitt die Fähre durch den Parcours der grün-roten Fahrwasserbetonnung, entlang der Untiefen und Sandbänke über das versunkene Marschland, das vor 8.000 Jahren nach der letzten Eiszeit im Schmelzwasser der neuen Warmzeit ertrank. Heutzutage bedeckt es der schwellende Sund von Harris. Infolge des Klimawandels wird er mit steigendem Meeresspiegel bald auch die hinter uns liegende schmale Landverbindung bei Tarbert überspülen und South Harris von der Inselgruppe für immer abtrennen. Im Gälischen bezeichnen die Ortsnamen oft lebende Landschaften, vereinen Geografie und alltagspraktischen Nutzen. „An Tairbeart“ etwa meint nicht nur den Isthmus, also den schmalsten Grad einer beidseits vom Meer umspülten Landenge, sondern auch die Furt, die „Überquerung“ im seichten oder trocken fallenden Gewässer. Auf lange Sicht sind die vielen Tarberts dieser Region ihrem Untergang näher als irgendeinem Übergang.
Hinüber auf die mittleren Inseln
Das Boot strebte immer weiter hinaus in den Sund mit Kurs auf Barneray. Robben auf schmalen Felsgraten blickten auf, schnäuzten sich und schauten uns über die kalte Schulter gelangweilt nach, inmitten eines von Inseln und Riffen zerrissenen Teppichs aus Gischt. Lang laufende Wellen blies der Wind vor sich her, als wolle er die See unter dem bleiernen Himmel in Falten legen wie einen Kilt, wie einen flatternden Tartan in Anthrazit, Weiß, Grün und Grau. Die Wolkendecke riss langsam auf, je weiter wir durch den Sund of Harris nach Süden schlingerten. Bei der Anlandung in Berneray, der obersten der mittleren Inseln, blinzelte schläfrig die Sonne in den kühlen Tag. Doch das Wetter sollte vorerst wechselhaft bleiben, wechselhaft atlantisch: voller Regenbögen und Sonnenschauer, mit dramatischen Wolkenspektakeln in allen Schattierungen von blau und tiefgrau.
Landmarken über dem Meer
Im schottischen Gälisch die „Uibhist“ genannt, auf Englisch die „Uists“, verlängern etliche Inseln die keltische Landbrücke in der Mitte des Archipels: von North Uist – mit Berneray und Benbecula – bis South Uist – mit Eriskay darunter – koppeln Dämme die Inseln aneinander. Sie zwingen die Otter, zum Fotoshooting aus dem Wasser zu steigen und die Fahrbahn zu überqueren. Denn in der Mitte der insularen Landbrücke schlängelt sich ein mächtiger Bandwurm aus Asphalt, die A865. Ihr Fahrdeck windet sich über Dämme und Deiche von Insel zu Insel und teilt die Geographie des Archipels in rechts und links: in eine dünengesäumte fruchtbare Marschlandschaft mit schneeweißen Stränden im Westen und in eine von Seen und Mooren durchsetzte, sumpfige Berg- und Hügellandschaft im Osten. Deren höchste Erhebung ist Beinn Mhor, mit 620 Metern wahrhaft der „Große Berg“, weithin sichtbares Wahrzeichen über dem Land.
Ökologischer Landbau
Wir trafen Ameena, die geophysikalische Technik studierte und das Fracking angesichts des Klimawandels aufgab, um ein soziales Anliegen zu unterstützen, zwischen Roter Bete und dicken Bohnen: „Grow your own Community“ heißt das Projekt, das lokalen Landbau und ökologische Aufklärung auf verlorenem Posten betreibt: „Dass wir einen Klimawandel erleben, glaubt inzwischen jeder hier. Die Regenfälle können sintflutartig werden, die Stürme immer heftiger. Letzten Winter haben die orkanartigen Böen Autos von den Dämmen ins Meer geblasen. Es gab Tote. Doch dass die Erderwärwärmung menschengemacht ist, will kaum einer hier glauben“, erzählt Ameena. Die weltpolitische Lage verschlimmert die Ausgangslage für wirksame Veränderungen auch an diesen exponierten Rändern Europas. Aber es bleibt die Hoffnung auf späte Erkenntnis und sei es die, dass das eigene Gemüse schmackhafter und gesünder ist als aufgewärmte Konserven. Um Kartoffeln zu ernten, muss man hier eigentlich nur die Saat in den Sandboden drücken und ein wenig warten.
Ein fruchtbares Land
In jenem verschlungenen Inselkosmos der Äußeren und Inneren, der Western und der Southern Isles, fanden die nomadisierenden Stämme der frühen menschlichen Siedler schon in der Steinzeit vor 6.000 Jahren ideale Bedingungen. Auf ihren fruchtbaren Böden aus Kalk und Torf ließen sie sich nieder. Zwischen Tümpeln, Seen und dem Meer. Machair ist das gälische Wort für diesen nährstoffreichen Boden, der eine üppige, blühende Vegetation begünstigt. In diesem amphibischen Land, das Muscheln und Napfschnecken schenkt und Beeren und Nüsse, das Fisch und Fleisch kennt, wurden die frühen Familienverbände der Jäger und Sammler sesshaft, als Fischer und Farmer. Noch heute sind geräucherter Fisch und Muscheln eine Delikatesse.
Frühe Siedler und moderne Touristen
Die Trockenmauern der schutzhaften „Duns“, oft als flache Rundbauten auf den kleinen Inseln der Lochs angelegt, bezeugen die Verbreitung jener frühen europäischen Siedler auf den westlichen Inseln. Oder die Ruinen der erhabenen „Brochs“, der befestigten Rundtürme auf den meeresnahen Hügeln: vom Küstensaum bis ins Binnenland, von der Bronze- bis in die Eisenzeit – und weit darüber hinaus bis in die frühe Neuzeit. Als territoriale Landmarken und seeseits sichtbare Wegweiser ihrer Routen säumen bis heute die Standing Stones die hiesigen Küsten und Landpassagen.
Ans Ende der keltischen Landbrücke
Wir sind diesen uralten Landmarken gefolgt bis ans Ende der fahrbaren Straße, haben fantastische Strände besucht und im erfrischenden kalten und klaren Wasser des Nordatlantik gebadet. Am Ende des fahrbaren Straßendamms über die Uists wartete auf Eriskay erneut eine Fähre. Denn da lagen noch Barra und Vatersay eine knappe Fährstunde weiter im Süden, beide verbunden über den letzten Damm dieser großartigen keltischen Landbrücke. Genau dorthin wollten wir noch. Denn an jedem vermeintlichen Ende geht es doch immer irgendwie weiter: hier in Eriskay mit CalMac nach Ardmhor auf Barra. Erst von dort werden wir die Fähre landeinwärts nehmen: von Castlebay zurück nach Oban. Die Sonne brach hervor…
Gastautor Heinz Bück schreibt wunderbare Reiseberichte aus Schottland, Irland und Großbritannien unter: www.the-celtic-ways.de. Das Autorenteam hinter „The Celtic Ways“, Sigrid Schusser und Heinz Bück, berichten in Print und Web für Freizeit und Outdoor-Magazine. Die beiden Reisejournalisten zieht es in ihrem mobilen Büro, einem orangen Reisemobil, an die westlichen Ränder Europas. Ihre spannenden Geschichten und aktuellen Informationen aus den „keltischen Lebenswelten“ inspirieren zu eigenen Touren in diese herrlichen Regionen.
Reise-Infos
Empfohlen 3 Wochen: Geradewegs auf die Äußeren Hebriden
An der Schottischen Westküste führt eine spektakuläre Route südwärts an die Irische See: auf Teilstücken der NC500 über die Landbrücke der Äußeren Hebriden. Wer nur „überschaubaren“ Urlaub hat, steuert sie – von Mitteleuropa kommend – am besten direkt mit der Fähre an: über IJmuiden und Newcastle hin und zurück! Denn vom nordenglischen Hafen sind es über Edinburgh immer noch 550 km durch die schottischen Highlands, mit unzähligen Versuchungen sich zu verlieren. Drei kostbare Wochen sind knapp für ein mobiles Abenteuer wie dieses, ob mit dem Auto, Motorrad oder Camper. Daher lohnt der strikte Kurs nach Ullapool.
Empfohlen 4-5 Wochen: Weiter über die Inneren Hebriden
Wer üppige fünf bis sechs Wochen hat, hängt – mit Vorlauf in den Highlands – die Inneren Hebriden an: Skye und die Small Isles Rum Islay und Jura. Weltenbummler indessen und „graue Nomaden“, die den Un-Ruhestand genießen und zeitlos reisen können, können sogar noch nach Irland übersetzen und kehren von dort über Frankreich oder Wales und Cornwall zurück. Wir haben viele Etappen dieser Touren erleben dürfen und sind immer noch begeistert. Eine Reise durch diesen entlegenen Teil Schottlands in die Gälisch sprechende Welt ist jedenfalls ein unvergessliches Erlebnis.
Mehr Reiseberichte von den Autoren
Ja !!!
Und somit steht ein neues Reiseziel auf meiner to-do-Liste ! 😉