Memelufer

Fahrt entlang der Memel nach Kaunas

Memelufer

Die Fahrt geht von Vente am Memeldelta flussaufwärts nach Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens. Links und rechts des Weges liegen einige geschichtsträchtige Orte, dessen Besuch sich lohnt. Gastautor Jürgen Grieschat hat die spannende Route mit dem Motorrad bereist und weiß mit seinen Eindrücken das Fernweh zu schüren.

Wir verlassen Šilutė auf der 141 in Richtung Osten. Unsere Fahrt führt uns bis Kaunas etwa 190 km auf der Landstraße an der Memel entlang, die hier Nemunas heißt und gemächlich durch eine beinahe menschenleere Gegend fließt. Der Strom entspringt in Weißrussland südwestlich von Minsk und mündet nach fast 940 km in das zur Ostsee gehörende Kurische Haff.

Ferien in der Kolchose

Das erste Dorf, das wir passieren, ist Juknaičiai. Es war in der Sowjetunion als Vorzeige-Kolchos, ein landwirtschaftlicher Großbetrieb, berühmt. In mehrstöckigen Wohnhäusern wollte man den Kolchos-Arbeitern stadtähnliche Lebensbedingungen schaffen – eine Idee, von der man längst wieder abgekommen ist. Nach der Wende wurden hier neben den Wohnblocks Stallungen und Wirtschaftsgebäude errichtet, um den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre eigene Kuh zu halten. Solange Feriengäste von staatlichen Organisationen hierhergeschickt wurden, lief der Betrieb. Aber nach Litauens Unabhängigkeit ist das Konzept „Ferien in der Kolchose“ nicht mehr gefragt.

Landtourismus mit Urlaubs- und Freizeitangeboten in dörflich-ländlichem Umfeld dagegen wird immer beliebter. Auf dem weiteren Weg gibt es nahe der Kleinstadt Pagėgiai einen Abzweig nach Sowetsk (dt. Tilsit) am gegenüberliegenden Ufer der Memel. Der Fluss bildet hier bis Jurbarkas die Grenze zur russischen Oblast Kaliningrad, auch Kaliningrader Gebiet genannt. Den Gedanken an einen kurzen Abstecher ins frühere Königsberger Gebiet müssen wir leider wieder verwerfen – ohne rechtzeitig beantragtes Visum haben wir keine Chance. Für den nächsten Besuch steht es fest auf unserer Liste.

Dichterische Freiheiten an der Memel

Angelangt in dem Dorf Lumpėnai lohnt sich ein Abstecher in Richtung Memelufer zum berühmten Rambynas. Der heidnische Kultberg ist einer der beliebtesten Plätze Litauens für das Johannisfest zur Sonnenwende. Weiter in Richtung Osten führt die Straße nun als Allee aus Linden, Eichen und Eschen durch eine Wiesenlandschaft, in der ziegelgedeckte Backsteinhäuser Erinnerungen an das alte Ostpreußen wecken. Preußisch-Litauen hieß diese Landschaft einst. Die Zeit scheint in diesem flachen, grünen Land still zu stehen: spärlicher Autoverkehr, gelegentliche Pferdewagen, Milchkannen auf Holzständen am Straßenrand und immer wieder Störche. Die Memel wird in der ersten Strophe des Deutschlandliedes als eine der Grenzen Deutschlands aufgeführt: „[…] von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt […].“ Der Dichter Hoffmann von Fallersleben hatte 1841 nicht an eine klare Sprachgrenze gedacht, denn das Gebiet entlang des Flusses war damals litauisch-deutsches Mischgebiet und der Sprachnationalismus wurde erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts wirksam.

Kurz vor Jubarkas passieren wir beim Dorf Šmalininkai die historische Grenze von Litauen und Deutschland, die bis 1919 fast 500 Jahre lang eine der stabilsten Europas war. Die heute 13.000 Einwohner zählende Stadt Jurbarkas ist eine Gründung des Deutschen Ordens. Das damalige Georgenburg war ein bedeutender Handelsplatz. In der Hauptstraße unterhalb des alten litauischen Burgberges Bišpilis, früher als Bayerburg bezeichnet, konzentrieren sich die Geschäfte.

An der Memel auf dem Weg nach Westen

Unterwegs auf der litauischen Burgenstraße

Es ist wahrhaftig eine Burgenstraße, auf der wir nun unterwegs sind. Linker Hand auf dem Geestrücken, ragt immer wieder ein Schloss oder eine Burg aus den Baumgruppen hervor. 25 km weiter erreichen wir Schloss Raudonė. Dieses Renaissanceschloss diente wie Raudondvaris, auf das wir kurz vor Kaunas treffen, dem reinen Vergnügen. Ein Ostpreuße, der mit Holzhandel reich geworden war, ließ es Ende des 16. Jahrhunderts auf den Resten einer alten litauischen Burg bauen. Später wurde es im neo-gotischen Stil renoviert. Raudonė liegt mitten im Panemuniai-Regionalpark, der 1992 zum Schutz des Memel Tals und seiner historischen Kulturlandschaften angelegt wurde.

Veliuona ist die nächste Station entlang der Burgenstraße und wird von zwei Burghügeln geprägt. Hier haben sich Litauer und Kreuzritter heftige Kämpfe geliefert. Da der Orden die mächtige Heidenburg Junigeda nicht einnehmen konnte, baute er 1337 nebenan kurzerhand eine eigene, die bereits erwähnte Bayerburg. Daraufhin griffen die Litauer nun die Ordensritter an. In einem dieser Kämpfe soll der litauische Großfürst Gediminas gefallen sein. Es ist nicht belegt, aber der Burghügel ist heute landesweit als sein Grab berühmt. Dort steht auch ein Denkmal des Nationalhelden. Das klassizistische Gutshaus beherbergt heute ein Heimatmuseum.

Neue Heimat alter Römer?

Dann taucht die sagenumwobene Kleinstadt Seredžius an der Mündung des Flüsschens Dubysa in die Memel auf. Eine Legende besagt, dass die Litauer aus dem römischen Adelsgeschlecht Palemon stammen und auf der Flucht vor Nero über die Ostsee an der Memel gelandet seien. Daher leitet sich der Name Palemonas für den Berg ab, auf dem einst die hölzerne Wehrburg Piesve stand. Kurz vor Kaunas erreichen wir Raudondvaris, bekannt durch das „Rote Schloss“, das seit 1615 auf einem früheren Burghügel über dem Ort thront. Mit seinem Bergfried und den Schießscharten täuscht es Wehrhaftigkeit vor, aber alles ist nur Fassade! Raudondvaris wurde nämlich als Renaissance-Lustschloss gebaut. Während des Ersten Weltkriegs war Arnold Zweig hier als Heeresschreiber stationiert. In seinem Roman „Einsetzung eines Königs“ beschreibt er diese Zeit.

Nach ein paar Kilometen erreichen wir schließlich Kaunas, die einstige „litauische Hauptstadt wider Willen“ und Endpunkt dieser Reiseepisode. Als Litauen zwischen den beiden Weltkriegen zu Polen gehörte, wurde die Stadt zur Hauptstadt aufgebaut und damit zum historischen Brennpunkt.

Ansicht Kaunas

Gastblogger: Jürgen „Juri“ Grieschat, www.mottouren.de

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